Auszug aus "Das Geheimnis von Rennes-le-Château"

 

                                                                                                                Kapitel 10

 

Gähnende Dunkelheit empfing ihn, als er den Höhleneingang betrat. Obwohl er schon mehrere Male hier war, bekam er erneut ein mulmiges Gefühl. Er wollte sich keinesfalls lange aufhalten, das sagte ihm sein Instinkt, denn es schien ein verfluchter Ort zu sein. Rasch griff er nach einer der Fackeln, die in der Halterung an der Wand steckte. Er zündete ein Streichholz an und kurze Zeit später loderte eine grellgelbe Flamme auf, die den Gang der Höhle in ein gespenstisches Licht tauchte. Sein Weg führte ihn abwärts. Geisterhafte Schatten tanzten an der Wand entlang, die Luft war bedrückend und stickig. Die Asmodisstatuen, die er damals in einem Abstand von etwa zehn Metern aufgestellt hatte, schienen ihn höhnisch anzugrinsen, fast so, als würden sie eine Verschwörung gegen ihn im Schilde führen. Obwohl sie nur aus Holz waren, schienen sie ein teuflisches Innenleben zu besitzen.

„So weit bin ich gekommen", murmelte er vor sich hin. „Wegen eines verfluchten Schatzes bete ich den Teufel höchstpersönlich an und lasse mich von ihm zu einem Mordkomplott verführen. Bérenger, was ist nur aus dir geworden." Er schüttelte den Kopf und schlich voll innerer Unruhe ängstlich weiter.

Ein beachtliches Stück musste er noch hinter sich bringen, bis es endlich an einer Wegbiegung heller wurde. Aber es war kein Tageslicht, das ihn empfing, sondern der Glanz des Goldes, der die gesamte Halle ausfüllte.

Eigentlich wollte er nicht mehr hierher, aber die Pläne, die er für sein Dorf hatte, begannen schon jetzt, mehr Geld als vorgesehen zu verschlingen. Er würde es doch nur für einen guten Zweck tun, redete er sich ein. Dennoch merkte er längst nicht mehr, wie ihn der Sog des Abwärtsstrudels erfasste. Nur kurz war ihm bewusstgeworden, wie unfreundlich er sich in der letzten Zeit gegenüber Marie verhalten hatte. Sie litt heimlich darunter, aber es gelang ihm immer weniger, seine Unbeherrschtheit in den Griff zu bekommen.

„Ach was", redete er sich ein, „wenn hier alles fertig gebaut ist, dann wird es uns Beiden wieder bessergehen. Man wird in Südfrankreich mit Ehrfurcht von Rennes-le-Château und seinem Abbé sprechen. Das ehemals mächtige Rhedae wird aus seinen Ruinen wie Phönix aus der Asche hervorsteigen und eine Bedeutung als Mekka für das Christentum erlangen." Ein irres Lachen entfuhr ihm dazu, war es schon das Gelächter eines Wahnsinnigen?

„Trotzdem solltest du immer bedenken, dass dir dieser Schatz nicht gehört und ich dir nur ausnahmsweise erlaubt habe, etwas davon zu nehmen, Priesterlein." Eine dröhnende Stimme hallte zwischen den Wänden der Höhle wider, kreiste ihn ein, gleichsam wie eine Fessel, die man um ihn schlang. War sie reell oder nur in seinem Kopf? Wie aus dem Nichts war sie erklungen und sie ließ ihn vor Angst aus allen Poren schwitzen.

Er war ihm wiedererschienen und, noch ehe Bérenger sich umdrehen konnte, stand das dämonische Wesen mit seiner Teufelsfratze erneut vor ihm: Asmodis, der biblische Baumeister des Tempels des Königs Salomon, Wächter aller Schätze auf dieser Welt. Jeden, der ihnen verfallen war, hatte er zu biblischen Zeiten mit einem Fluch belegt, der mit dem Tod endete. Er war der Herr der Begierde und Bérenger hatte ihn damals durch Zufall wiedererweckt. Wie der Teufel versuchte, Jesus in der Wüste zu verführen, so hatte es auch Asmodis mit Bérenger getan und hatte Erfolg.

Der Pfarrer von Rennes-le-Château rang hörbar nach Luft, als er ihm gegenüberstand.

„Du weißt, dass ich sparsam damit umgegangen bin. Immerhin habe ich mir nur einen geringen Teil genommen", versuchte der Abbé, sich zu rechtfertigen.

Asmodis lachte furchterregend: „Was für eine armselige Entschuldigung!" Er äffte ihn nach. „Nein, sprach der Mensch, ich habe mir nur einen Bruchteil aller Schätze dieser Welt genommen, leider ist dabei einiges kaputtgegangen, ein Kollateralschaden sozusagen, aber das muss man eben in Kauf nehmen. Ach, ihr Menschen widert mich an. Ihr seid keinen Deut besser als euer Gott, den ihr so inbrünstig anbetet. Euere Gebote sind nur noch dazu da, dass ihr sie ignoriert."

Dann starrte er mit seinen stechenden blauen Augen Bèrenger ins Gesicht, wie eine Brillenschlange, die ihr Opfer hypnotisiert, bevor sie ihm den Todesstoß versetzt.

„Aber nur zu, tu dir keinen Zwang an. Das Eine bedenke aber dabei: Alles hat seinen Preis."

„Was verlangst du von mir? Genügt es dir nicht, dass ich eine Statue von dir in meiner Kirche, also an einem heiligen Ort, habe aufstellen lassen? Was glaubst du, was ich mir deswegen alles anhören musste. Dazu kommen all die anderen ungewöhnlichen Dinge, die sich dort befinden. Sie lassen für einen Laien einen höchst zweifelhaften Schluss auf die Auslegung der Bibel zu." Berenger war forscher geworden.

„Ich darf dich daran erinnern, dass du der Auftraggeber eines Mordes gewesen bist und dass du damit gegen mindestens eines euerer Gebote verstoßen hast. Menschen wie du kommen normalerweise nach ihrem Tod auf direktem Weg zu uns in die Hölle. Auch wenn du noch soviel davon bereust und Buße tust, so haftet diese Schuld weiter an dir bis zu deinem Lebensende. Aber man wird dir an höherer Stelle trotzdem vergeben, weil du dein Leben lang deinem Gott gedient und immer nach der einzigen Wahrheit gesucht hast. Ich will sie nicht aussprechen, aber sie ist eng mit euerem ‚Gottessohn‘ verbunden. Zu lange hat man bisher Lügen über ihn verbreitet. Aber jetzt zu meiner Forderung: Gib mir deine Seele und du kannst dir unbegrenzt von meinem Gold nehmen. Aber nicht nur das. Wenn du darauf eingehst, werde ich dir ein Angebot machen, dass du nicht ablehnen kannst."

Saunière erschrak augenblicklich, als er den Teufel so reden hörte. Aber die Neugier trieb ihn voran. „Wie lautet dein Angebot?“

„Ich werde dir helfen, die Wahrheit über Jesus Christus vollständig aufzudecken, nicht mehr und nicht weniger. Sie soll nicht länger ein großes Geheimnis bleiben." 

Bérenger war hin und hergerissen. Würde er darauf nicht eingehen, würden seine Träume von einem Moment auf den anderen wie eine Seifenblase zerplatzen. Andererseits musste er an die Dokumente denken, die ihm nur in Rennes-le-Château sicher zu sein schienen. Deshalb musste auch dieser ganze Aufwand mit dem Bau einer riesigen Mauer um den Ort betrieben werden. In ihrem Innersten wollte er ein Heiligtum errichten, in dem er sie aufbewahren würde. Für immer sollten sie jedem Zugriff durch die Außenwelt entzogen sein. Jetzt bekam er auch noch eine andere Sache auf dem goldenen Tablett serviert, die ihn von jeher umtrieb. 

Er selbst war sich nichts mehr wert. Einzig um die Wahrheit ging es noch.

„Ich habe wohl keine Bedenkzeit mehr, oder?“

Der Dämon nickte nur ernst.

„Dann gib mir wenigstens die Möglichkeit, den Zeitpunkt meines Todes selbst zu bestimmen." Er blickte Asmodis zaghaft an, dieser jedoch bedeutete ihm mit einer einladenden Handbewegung, fortzufahren.

„Alle meine Bauvorhaben werden wahrscheinlich noch 20 Jahre in Anspruch nehmen, wenn alles nach Plan verläuft. Deshalb schlage ich den 22. Januar 1917 als meinen Todestag vor." Die Zahl 22 hatte schon immer eine wichtige Rolle in seinem Leben gespielt, sie trat auf geheimnisvolle Weise bei vielem in Erscheinung, was er plante oder durchführte. Der Monat Januar sollte ihm nicht mehr die Möglichkeit geben, das Erwachen des Frühlings und aller damit verbundenen Pracht der Natur und Schönheit seines Dorfes zu erleben. Bis dahin hatte er genug Möglichkeit, sich auf seine "lange Reise" vorzubereiten, wie er es dann gegenüber Marie ausdrücken würde.

Asmodis dachte kurz nach, dann nickte er mit seinem schrecklichen Kopf. „Nimm dir, was du brauchst. Aber ich werde nichts vergessen und nehme dich zu gegebener Zeit beim Wort." Kaum hatte er es ausgesprochen, war er auch wieder verschwunden.

Sauniere wäre über sich erschrocken, hätte er sich im Schein der Fackel sehen können. Jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Er fasste sich ans Herz und schnappte nach Luft. „Um Gotteswillen, was habe ich nur getan!", schrie er flehend. Dann wurde es dunkel um ihn.

 

Irgendwann später wachte er schweißgebadet auf. Aber was war passiert? Statt auf dem Boden der Höhle lag er auf dem Sofa seiner Bibliothek im Tour Magdala. Langsam dämmerte es ihm – ein schrecklicher Alptraum hatte ihn im Schlaf heimgesucht.

 

 

 

                                                   Hier noch ein Beispiel für eine satirische Kurzgeschichte

 

 

                                                                                           Der Geist ist willig

 

Ich sage es gleich im Voraus: Ich möchte immer noch Bestseller-Autor werden. Wie ich das anstelle, weiß ich noch nicht. Aber es gibt ja Fachliteratur. Das Buch von Julia Cameron (Wer zum Teufel ist sie?) mit dem Titel „Der Weg des Künstlers“ hat man mir dazu empfohlen. Das liest angeblich jeder, der als Kunstschaffender berühmt werden will. Sie beschreibt darin zum Beispiel einen „Künstlertreff“, den man mindestens einmal pro Woche abhalten soll.

Gut, dachte ich mir, gehste eben in die Kneipe zu deinen Kumpels.  Aber irgendwie muss ich da was falsch verstanden haben, denn keiner von ihnen ist Künstler, außer er lässt sich beim Nichtbezahlen der Zeche eine originelle Ausrede einfallen.

Also wo sollte ich diesen Menschenschlag treffen? Ich habe dann nochmals das Buch konsultiert und herausgefunden, dass man sich Zeit für sich selbst nehmen sollte.

Deswegen begab ich mich samstags in die Innenstadt und redete mir ein, Bewegung an der frischen Luft könnte mir guttun. Hinterher würden meine Ideen nur so sprudeln, sodass mir durch das Schreiben von mindestens zehn Kurzgeschichten gleichzeitig die Finger abfallen würden. Zugegeben, ein nicht risikofreies Unterfangen.

Auch meine Ehefrau hielt es für eine gute Idee. „Aber hüte dich davor, unterwegs weitere Bücher zu kaufen, du weißt, dass wir momentan schon Plutos Hundehütte hernehmen müssen, um sie zu lagern.“ Ein unmissverständlicher Warnhinweis. Der Hund schlief dann meistens auf dem Bettvorleger. Dagegen hatte ich nix, außer, wenn er Blähungen hatte. Aber sein Gejaule ging mir auch so auf die Nerven, wenn er mal wieder einen Alptraum hatte. In der Nachbarschaft glaubten sie dann, ein Wolf würde sein Unwesen treiben und hätte bereits einige Schafe gerissen.

Meine Frau kannte mich und meine soziale Ader. Die erstreckte sich auf Bücher, die unverschuldet in Not geraten waren. Die lagen meistens in Buchhandlungen oder Antiquariaten herum und warteten darauf, von mir eingesammelt zu werden. Ganz nach dem Vorbild der Krötenwanderung. Die sehnten sich auch danach, dass man sie nimmt und woanders wieder frei lässt.

Selbstredend platzte dadurch unsere Wohnung aus den Nähten. Also blieb uns nichts anderes übrig, als sie aus lauter Verzweiflung im Kühlschrank, dort bevorzugt Rezeptbücher, im Wäscheschrank, ein idealer Platz für Erotik-Thriller, oder unterm Bett zu stapeln. An letzterem Ort bewahrten wir langweilige Frauenromane auf, die bewirkten, dass meine Frau davon besser einschlafen konnte.

Das mit dem vollen Kühlschrank störte uns nicht weiter. Alles Essbare wurde auf den Balkon ausquartiert, im Winter kein Problem. Im Sommer stellten wir unsere Ernährung um. Wir besorgten nur von der Kühlung unabhängige Nahrungsmittel, präziser gesagt, wir fasteten öfters. Zwischendurch tröstet man sich ideell damit, dass man Bücher auch verschlingen kann.

Ich bin jetzt zweiundsechzig und war früher jünger. Deshalb entfällt mir öfters, wo ich vorher stehengeblieben war. Ach ja – beim Bücherkauf. Wenn es mich zum Beispiel in eine Buchhandlung verschlug, woran ich keinerlei Schuld hatte, bekam ich Horrorzustände. Ich kam mir vor wie ein Alkoholsüchtiger, der nach dem fünfzehnten Bier sagt: „Ich gewöhn` mir das Saufen ab, aber vorher trink ich noch einen.“

„Na los, du Junkie, kauf mich“, drang eine Stimme aus einem Stapel Bücher, den, offenbar nur für mich sichtbar, weiße Mäuse besetzt hielten. Die Viecher grinsten mich unverschämt an. Selbst, wenn ich mir einredete, dass mich manches Buch gar nicht interessieren würde, nützte es nichts.  Der Zwang war stärker.

Ich hatte Pavianarme, als ich in der Buchhandlung ein Werk auf das nächste stapelte und bei eingeschränkter Sicht Richtung Kasse torkelte. „Sammeln sie Punkte?“, fragte mich die Verkäuferin.

„Jetzt noch nicht, später schon, wenn mich meine Frau verprügelt.“

„Da kann ich Ihnen noch ein weiteres Buch über Gewalt in der Ehe empfehlen. Haben Sie Interesse?“

„Jetzt ist es aber genug. Verarschen kann ich mich selber.“ Ich zog beleidigt ab und dachte mir, dass ich mir endlich einen Kleintransporter besorgen sollte.

„Verdammte Sucht“, schimpfte ich mich. Von einer entsprechenden Selbsthilfegruppe nahm ich trotzdem Abstand. Die würden mich alle auslachen. Der Alkoholiker würde sagen „Prost Buchzeit“, der Spieler würde ihm beipflichten mit „Neues Buch, neues Glück“. Das Schlimmste würde geschehen, wenn mir der Briefmarkensammler eine kleben wollte. Am Schluss würde der Psychologe krampfhaft versuchen, sich das Lachen zu verbeißen. Der dächte aber insgeheim darüber nach, dass er selbst daheim siebentausend Bücher hätte, die er Gott sei Dank im Keller seines Hauses bequem bunkern konnte. Wer zurückblieb, war ich, das arme untherapierbare Schwein!

Einen schwachen Trost gab es. Meine Frau brachte beim Einkauf in der Stadt selbst immer mindestens fünf Bücher aus unserem Stammladen, einem Antiquariat, mit. Meistens blöd gelaufen, denn drei davon hatten wir vorher schon mal gekauft. Allerdings war der Antiquar dann so freundlich, dass er uns keinen Gutschriftsbeleg für den Umtausch mehr ausstellte, sondern lediglich verlangte, wir sollten uns merken, welchen Betrag wir diesmal wieder bei ihm guthätten. Ein Vorteil, wenn man zu den Stammkunden zählt.

 

Fazit: Sollte man irgendwann einmal pleitegehen, weil man sich wegen des Bücherkaufs übernommen hat, oder das Haus, in dem man wohnt, stürzt ein, weil die Statik wegen der vielen Bücher nicht mehr stimmt, gibt es noch eine andere Methode. Selbstversorger heißt das Zauberwort. Wie bei den Lebensmitteln baut man alles selber an, indem man auch selbst Bücher schreibt. Da bringt man auch die 500 Bücher noch locker unter, die man bei jeder Lesung zum Verkauf anbieten muss. Heute Abend werde ich schon mal damit anfangen.

 

Veröffentlichung von Texten im Live-Mitschnitt bei den Nürnberger Texttagen 2021 unter folgendem Link:

Dropbox – Wortkünstler MF – Machen Sie sich das Leben leichter

 

Mitschnitt auf Radio Hörbahn unter folgendem Link:

 

Wortkünstler Mittelfranken: Helmut Herrmanns Kurzgeschichte "Asmodis" – Literatur Radio Hörbahn (literaturradiohoerbahn.com)